Wenn Gott doch weiß, was ich tun werde, wie bin ich dann verantwortlich für meine Taten und was kann ich denn dafür?

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Wenn Gott doch weiß, was ich tun werde, wie bin ich dann verantwortlich für meine Taten und was kann ich denn dafür?

These: Das Wissen beruht auf Kenntnissen, die Kenntnisse beruhen nicht auf dem Wissen.

„Die Vorherbestimmung ist Wissen. Das Wissen ist aber von Kenntnissen abhängig. Das heißt, so wie etwas geschehen ist, so ist dementsprechend auch unsere Kenntnis davon. Die Kenntnisse sind aber nicht vom Wissen abhängig.“[1. Nursi: Worte (o. J.) S. 831.]

Die These wollen wir durch ein Beispiel verdeutlichen: Angenommen ich weiß, dass jemand an der naturwissenschaftlichen Fakultät studiert. Diese Information ist mein Wissen. Meine Kenntnis ist, dass diese Person Student an dieser Fakultät ist. Das Wissen besteht aus Kenntnissen.[2. „Das Wissen ist die Gesamtheit der Kenntnisse, die jemand (auf einem bestimmten Gebiet) hat.“ (Bibliographisches Institut GmbH, Hrsg. Dudenverlag)] Aus Kenntnissen, also durch das Kennen von Sachen und Dingen entstehen Prinzipien und Grundsätze, was zu Wissen wird. Somit beruht mein Wissen auf dieser Kenntnis. Das heißt, weil diese Person an der naturwissenschaftlichen Fakultät studiert, weiß ich dies so. Wenn die Kenntnisse vom Wissen abhängig wären und ich wüsste, dass er an der medizinischen Fakultät studiert, dann würde er in meinem Wissen zu einem Medizin Studenten werden.[3. Vgl. Başar: Risale-i Nur’dan Kelimeler Cümleler (2007), Bd. 1, S. 318 f.]

Die Unvereinbarkeit der Vorherbestimmung mit dem freien Willen wird meistens ausgedrückt in dem gesagt wird: „Wenn Gott mit seinem urewigen Wissen doch weiß, was ich tun werde, was kann ich denn dafür und wie bin ich dann frei bzw. verantwortlich für meine Taten?“ Wenn man in diesem Satz das Verb beim Subjekt „Gott“ und dem „ich“, also dem Menschen betrachtet, dann fällt folgendes auf: Das Subjekt des Verbes „tun“ gehört dem Menschen und des Verbes „wissen“ zu Gott. Also sagt der Fragende: „Ich tue es und Gott weiß es“ und fragt anschließend „Was kann ich denn dafür“? In dieser Fragestellung akzeptiert der Mensch von vornehinein, dass Gott der Wissende und er der Handelnde ist. Der Mensch, der die Tat ausführt, ist in diesem Fall eine Kenntnis und dass Gott dies mit seinem urewigen Wissen bzw. Vorherwissen weiß, ist Wissen. Und dieses Wissen beruht auf die Kenntnisse. Wenn die Kenntnisse auf das Wissen beruhen würden, müsste die Frage dann folgendermaßen gestellt werden: „Wenn ich das tue, was Gott weiß, was kann ich denn dafür?“ Dies wird so nicht gesagt und kann auch sicherlich nicht in der Form gesagt werden, da der Mensch zum Wissen Gottes keinen Zugang hat.[4. Vgl. ebenda]

Wie wir wissen, reicht es nicht aus eine Sache, ein Ereignis oder eine Tat zu wissen, um dessen Täter zu sein. Beispielsweise weiß eine Person wie man redet. Doch solange diese Person diese Handlung nicht ausführt und das Verb „reden“ nicht tut, kann man nicht sagen, dass er geredet hat. Das bedeutet; es reicht nicht aus über eine Tat Bescheid zu wissen, um dessen Täter zu sein. Man muss diese Tat wollen, ausführen und getan haben. Gott weiß über alle Taten des Menschen Bescheid. Doch derjenige, der die Tat durch seinen Willen und durch seine Kraft ausführt bzw. sie erwirbt (kasb) ist der Mensch, wofür er auch in Verantwortung gezogen wird. Auch wenn Gott durch sein Allwissen über die Tat Bescheid weiß, erwirbt bzw. tut Er sie nicht.[5. Vgl. ebenda, S. 319.] Das Erschaffen einer schlechten Tat bzw. des Übels ist nicht etwas Schlechtes, sondern die Neigung das Übel oder die schlechte Tat zu tun bzw. sie zu erwerben ist schlecht.[6. Vgl. Nursi: Worte (o. J.), S. 826.] Sowie Gottes Wesen ohne Anfang und ohne Ende ist, sind auch seine Eigenschaften urewig. Das Wissen, welches eines Seiner Eigenschaften ist, ist auch urewig und endlos. Gott weiß mit seinem urewigen und endlosen Wissen alles, was passiert ist und passieren wird zur gleichen Zeit. Es ist nicht die Rede davon, dass Er eine Sache vorher und die andere nachher weiß. Da der Mensch an die Zeit gebunden ist, kann er die Ereignisse nur nach deren Geschehen wissen. Selbstverständlich kann er mit seinem beschränkten Wissen die Begriffe „unabhängig von Raum und Zeit“ und „urewiges und endloses Wissen“ nicht begreifen. Denn sein Wesen und seine Eigenschaften wurden im Nachhinein erschaffen und sind nicht wie bei Gott beständig (qā‘im).[7. Vgl. Başar: Risale-i Nur’danKelimeler Cümleler (2007), Bd. 1, S.320]

„Um dieses Geheimnis zu entschleiern, betrachte das folgende Beispiel, [welches diese abstrakte Tatsache dem menschlichen Verstand näher bringt]: In deiner Hand befinde sich ein Spiegel. Stell dir nun vor, nach der rechten Seite hin erstrecke sich die Vergangenheit und nach der linken Seite hin erstrecke sich die Zukunft. Der Spiegel aber erfasst nur das, was ihm gegenüber liegt. Des Weiteren erfasst er zu beiden Seiten eine gewisse Strecke. Den größten Teil jedoch erfasst er nicht. Je tiefer sich dieser Spiegel befindet, desto weniger vermag er zu sehen. Je mehr man ihn jedoch nach oben empor zieht, desto mehr erweitert sich die Reichweite dieses Spiegels. Allmählich erfasst er mehr und mehr alle beiden Erstreckungen gleichzeitig und im selben Augenblick. Und darum kann man also nun nicht mehr sagen, dass der Spiegel in dieser Stellung durch seine Projektion bei dieser Entfernung die ablaufenden Zeiten einander vorausgehen, nachfolgen, einander entsprechen oder einander entgegengesetzt sind. Da die Vorherbestimmung zu dem Wissen des Urewigen gehört, erfasst das Wissen des Urewigen nach der Erklärung einer Hadith »aus einem hohen Blickwinkel heraus von Ewigkeit zu Ewigkeit alles, was geschah und was geschehen wird, in einem, und umfasst es von seinem hohen Standpunkt aus.« Wir und unsere Beurteilung können nicht außerhalb dessen stehen, sodass es (das Wissen des Urewigen) einem Spiegel gleichen sollte, der auf Seiten der Vergangenheit steht.“[8. Nursi: Worte (o. J.), S. 831 f.]

Das Missverständnis bei diesem Thema liegt zumeist darin, den Begriff der Zeit falsch auszulegen. Ein Ereignis wird in der Zukunft stattfinden, doch weiß es Gott mit seinem urewigen und endlosen Wissen voraus. Dieses Wissen wird überwiegend als etwas Zwingendes verstanden. Für Gottes urewiges und endloses Wissen macht es keinen Unterschied, ob ein Ereignis in der Vergangenheit, in der Gegenwart oder in der Zukunft liegt. In allen drei Tempora beruht das Wissen auf Kenntnissen.